Bunkerjungen
Die Bunker der Wehrdienstverweigerer im Kiischpelt
Die Vorgeschichte
Als der Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, nach dem 10. Mai 1940 versprach, die Unabhängigkeit Luxemburgs zu respektieren, verhielt sich die luxemburgische Bevölkerung zunächst passiv, abwartend und skeptisch. Mit der Einsetzung von Gustav Simon als Leiter der Zivilverwaltung änderte sich ihre Haltung jedoch grundlegend. Simons Ziel: ein freiwilliges und ausdrückliches Bekenntnis der Bevölkerung zum Deutschtum. Die Sprachenverordnung machte deutlich, dass die Eigenart Luxemburgs nicht mehr berücksichtigt wurde, und führte zu ersten Protesten. Familiennamen, Straßennamen und Symbole der Unabhängigkeit wurden eingedeutscht oder abgeschafft. Ab Anfang 1942 leitete der Gauleiter einen groß angelegten Feldzug zum freiwilligen Eintritt in die Wehrmacht ein.
Die Resistenz / Der Widerstand
Die ersten Aktivitäten dieser Widerstandsgruppen bestanden darin, sich den Deutschen mit luxemburgischer Propaganda zu widersetzen (Flüsterpropaganda, Flugblätter, Verteilung von Fotos und Abzeichen, Zerstörung von Naziplakaten). Die wohl wichtigste geheime Druckerei befand sich auf dem Friedhof von Rümelingen, wo in einer leeren Grabkammer Tausende Flugblätter gedruckt wurden.
Diese Flugblätter sollten die luxemburgische Bevölkerung über die Personenstandsaufnahme vom 10. Oktober 1941 informieren. Bei dieser Volkszählung wollte der Gauleiter ein offizielles Bekenntnis zum Deutschtum erzwingen, indem die drei Fragen nach Staatsbürgerschaft, Muttersprache und Volkszugehörigkeit mit „deutsch“ beantworten werden sollten. Die Auszählung der Stimmzettel ergab, dass die Luxemburger dem Aufruf des Widerstandes gefolgt waren und sich zu ihrem Luxemburgertum bekannten, indem sie dreimal „lëtzebuergesch“ geantwortet hatten. Die Reaktion der Nazis folgte auf dem Fuß: die Verhängung der Todesstrafe gegen alle Widerstandskämpfer und -kämpferinnen. Mehr als 300 Personen wurden verhaftet und im Sonderlager Hinzert interniert.
Die größte Aktion der luxemburgischen Resistenz war der Generalstreik von 1942. Am 30. August 1942 verkündete Simon die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Luxemburg, die sogenannte „Zwangsrekrutierung“. Der Streik begann am 31. August 1942 in Wiltz und breitete sich im Laufe des Vormittags auf Diekirch und Ettelbrück aus. Auch in der Schifflinger Hütte legten 2.000 Arbeiter die Arbeit nieder. Bis zum 2. September 1942 kamen immer mehr Streikende hinzu: Schüler der Gymnasien in Esch und Echternach sowie angehende Volksschullehrerinnen beteiligten sich, Bauern verschütteten die Milch ... Simon konnte der Situation nur mit größtem Terror Herr werden. Der Belagerungszustand wurde ausgerufen, 21 Personen wurden zum Tode verurteilt und sofort erschossen. Selbst die alliierte Auslandspresse berichtete über den Luxemburger Generalstreik.
Die sofortige Einberufung der Jahrgänge 1920‒1924 zur Wehrmacht konnte jedoch nicht verhindert werden. Weitere Männer wurden am 25. März 1943 (Jahrgang 1925), am 8. Dezember 1943 (Jahrgang 1926) und am 14. Juli 1944 (Jahrgang 1927) eingezogen.
Das Nationale Streikdenkmal in Wiltz
Unter diesen 11.168 Zwangsrekrutierten waren 3.510 Kriegsdienstverweigerer oder Deserteure.
• Zwangsrekrutierte: 11.168
• Deserteure oder Refraktäre (Wehrdienstverweigerer): 3.510
• Vermisste: 1.084 (1.250 ?; je nach Quelle)
• Gefallene: 1.775
• Hingerichtete: 253
• Maquiskämpfer oder alliierte Soldaten: 705
Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige aus Luxemburg kamen oftmals in Häusern oder unterirdischen Unterständen (Bunker) unter. In fast jedem Ort gab es mutige Menschen, die Refraktäre auf dem Dachboden oder im Keller versteckten. Die Verweigerer wussten, dass ihre Familien aufgrund ihrer Desertion zwangsumgesiedelt würden. 3.510 Luxemburger Refraktäre überlebten das Naziregime in stillgelegten Bergwerksstollen, provisorischen Bunkern und in Verstecken, die oft kaum mehr als Löcher im Waldboden waren.
Die Refraktäre und desertierten Zwangsrekrutierten in den Bunkern wurden von Widerstandskämpfern, Bauern und vielen todesmutigen Hausfrauen aus den Nachbardörfern ‒ oft unter Lebensgefahr ‒ mit Nahrung und Kleidung versorgt. In ganz Luxemburg gab es damals insgesamt 85 Bunker, in denen über 400 Refraktäre lebten. Die meisten davon befanden sich in den Wäldern des Öslings.
Auch in der Gemeinde Kiischpelt und Umgebung gab es mehrere solcher Bunker. Drei Standorte werden im Folgenden näher vorgestellt. Sie sollen einen Eindruck von der Geschichte, dem Schicksal, den Ängsten und Sorgen der dort versteckten „Jongen“ und ihrer Betreuer vermitteln.
Drauffelt/Enscheringen
Ende 1942 begann Nicolas Thelen mit dem Bau eines Bunkers im Raum Drauffelt/Knaphoscheid, genauer gesagt an der Stelle mit dem Flurnamen „Op der plakeger Lay“, in der Nähe der Straße Drauffelt-Wiltz. Die ersten Insassen waren zwei deutschstämmige Refraktäre, die vor dem Krieg die luxemburgische Staatsangehörigkeit angenommen hatten. Da das Reich diese nicht anerkannte, erhielten sie einen Einberufungsbefehl zur Wehrmacht, dem sie aber nicht Folge leisteten. Später kamen weitere Refraktäre hinzu: Jules Esser, Roger Wolff, Eugène Stirn und Léon Felten.
Inzwischen war der Bunker vergrößert worden. Junge Tannen und Moos sorgten für eine gute Tarnung. Die Wände waren mit Baumstämmen verkleidet. Das Dach bestand aus Blechplatten auf Baumstämmen. Auf der Rückseite befand sich ein Notausgang.
In einem Waldstück auf „Wesserwee“ befand sich der Bunker Enscheringen. Nur noch wenige Spuren zeugen von den schrecklichen Geschehnissen, die sich einst hier abspielten. Beim Besuch der Überreste seiner Unterkunft erzählte ein ehemaliger Bunkerinsasse unter Tränen seine Geschichte von Angst und Verfolgung:
Ein Ofen diente zum Heizen und zur Nahrungszubereitung. Wasser holten sie aus der Kirel, einem nahe gelegenen Bach. Zur Verteidigung standen ein deutsches Gewehr, ein Revolver und ein Jagdgewehr zur Verfügung. Wild mussten die Insassen nicht erlegen, da sie von zahlreichen Einwohnern aus Enscheringen, Drauffelt, Knaphoscheid, Lellingen und Marnach versorgt wurden. Diese Geschichte wurde von Frau Nockels, Roger Wolff, Nic Thelen, Eugène Stirn, Jean Keipes und Frau Esser bezeugt und erzählt.
Knaphoscheid
Anna und Nicolas Schlesser-Reding sowie Annas Mutter, Madeleine Reding-Turmes, genannt „Matti Léin“, aus Knaphoscheid hatten aus Menschlichkeit und Selbstlosigkeit den Widerstandskämpfern Jos Gaasch aus Wilwerwiltz und Aly Schlesser aus Knaphoscheid und ab Ende Oktober 1943 auch Jos Turmes Unterschlupf gewährt und dabei ihr Leben riskiert. Wegen der zu großen Gefahr zog Jos Turmes jedoch am Ostersonntag 1944 in einen Bunker im Wald um. Ihm sollten bis zur Befreiung im September 1944 noch drei weitere Männer folgen: Jos Wolwert aus Luxemburg-Stadt, Pol Berscheid aus Selscheid und Jean Keipes aus Knaphoscheid. Eine Gedenktafel erinnert an die „Bunkerjungen“ und ihre Beschützerfamilie.
Fridbesch
An der alten Straße von Kautenbach nach Consthum, auf der Anhöhe gegenüber dem Aussichtsturm, führt ein Weg zum Bunker am Dosbach/Fridbësch. Von Ende Mai 1944 bis zum Tag der Befreiung Luxemburgs am 10. September hausten nicht weniger als 17 Personen in diesem Bunker. Sie wurden von der Bevölkerung der umliegenden Dörfer mit Lebensmitteln versorgt.
Freiwillige Helferinnen und Helfer sowie Angehörige der „Bunkerjongen“ haben dieses Versteck in Erinnerung an die dunklen Kriegsjahre wieder hergerichtet. Auch wurde ein Bunkerwanderweg angelegt.
Der Eingang zum Bunker in Drauffelt, der getarnt war, wenn sich jemand darin aufhielt
In diesem Wald auf „Wesserwee“ bei Enscheringen befand sich ein Bunker. Nur noch wenige Spuren zeugen von den schrecklichen Geschehnissen, die sich einst hier abspielten. Beim Besuch der Überreste seiner Unterkunft erzählte ein ehemaliger Bunkerinsasse unter Tränen seine Geschichte von Angst und Verfolgung.
Der Bunkerwanderweg führt zum Bunker Fridbesch.
Weitere Informationen
Quellen & Fotos
› Jean Milmeister - Die Ardenenschlacht
› Fritz Rasqué - Das Ösling im Krieg
› Joseph Mäertz - Luxemburg in der Ardennenoffensive
› Aimé Knepper - Les réfractaires dans les bunkers
› Jean-Marie Boumans - Fotos
› Webseite Visit Eislek