Alphonse Wenkin

ein junger Mann zwischen den Fronten

Mehr als 10.000 luxemburgischer Männer und Frauen trugen während des Zweiten Weltkriegs die Uniformen der Wehrmacht, der Waffen-SS, der bewaffneten Polizei und dem Reichsarbeitsdienst (RAD). Von den mehr als 10.000 Rekrutierten sind um die 3 000 gestorben und 3.500 desertiert. Bei den Personen, die sich freiwillig in Wehrmacht meldeten, variiert die Zahl. Die Jahrgänge 1920 bis 1927 der damals jungen Luxemburger wurden mit der Verkündung der Wehrpflicht am 30. August 1942 durch Gauleiter Gustav Simon in die Wirren des Zweiten Weltkriegs hineingezogen. Auch die jungen Männer aus dem Kiischpelt waren von der Zwangsrekrutierung betroffen und hatte weitreichende Folgen in der Lebensgeschichte dieser jungen Menschen. Die Familie Wenkin hat die Lebensgeschichte des jungen Zwangsrekrutierten Alphonse Wenkin in einem Buch zusammengestellt.

Auf dem „Dellenhaff“ am Eingang der Ortschaft Merkholtz lebte die Luxemburger Bauernfamilie Wenkin, eine typische Großfamilie der damaligen Zeit: Die Eheleute Jean und Maria Wenkin-Schwinnen, sechs Kinder, die Großmutter, Onkel Alphonse und Tante Pauline, die aber ihren eigenen Haushalt führten.

Alphonse Wenkin kam am 20. Oktober 1920 in Merkholtz zur Welt, der war das Dritte der sechs Wenkin-Kinder. Alphonse war ein aufgewecktes Kind, bei allen im Haus beliebt. Er arbeitete im landwirtschaftlichen Betrieb des Vaters und hat wohl Pläne und Träume für sein späteres Leben gehabt. „Und es kam der schwarze, der unselige Tag (N. Heinen)“, am 20. August 1942, als der Gauleiter Gustav Simon die Wehrpflicht für die männliche Jugend der Jahrgänge 1920-1924 verkündete.

Im Oktober 1942 erhielt Alphonse seinen Stellungsbefehl, die amtliche Aufforderung, sich zum Militärdienst zu stellen. Er stand vor einem Dilemma: Desertieren und damit verbunden die Umsiedlung der ganzen Familie oder in der Uniform der Besatzer sein Leben aufs Spiel setzen? Den Ausschlag für seine Entscheidung war vermutlich die kranke Großmutter sowie der sechsjährige Bruder Guy.

Aus dem Reichsarbeitsdienst schreibt Alphonse mehrere Briefe an seine Familie. Im ersten Brief aus Adelnau, heute Odolanów, eine Stadt im Westen Polens, an Allerheiligen 1942, bittet er seine Familie um Tabak, Briefpapier und Äpfel. Die drei nächsten Briefe kommen aus dem Krankenhaus in Ostrowo, das 15 km von Adelnau entfernt liegt. Wegen Diphterie liegt er dort im Krankenhaus bis zum 25. November 1942. In zwei weiteren Briefen aus Adelnau bedankt er sich bei seiner Familie für die Pakete und beschreibt das strenge Lagerleben.

Vom Dezember bis Mitte Januar gibt es keine Briefe; während dieser Zeit verbringt Alphonse 14 Tage Heimaturlaub. Im Januar 1943 kommt er zur Ausbildung nach Lindau am Bodensee, wo ein Infanterie-Bataillon der Wehrmacht beheimatet war. Mit 15 anderen Luxemburgern und 45 Lothringern ist er in einer Kaserne von 500-600 Mann untergebracht. Einige Tage vor dem Abmarsch nach Russland besuchen Mutter und Tante Alphonse in Lindau.

Am 1. Februar geht die Reise nach Russland, am 7. Februar kommt der Luxemburger in Novograd-Wolynski, 200 Kilometer westlich von Kiew und etwa 300 km von Lemberg in der westlichen Ukraine, an. Die gesamte Ausbildungszeit in Russland dauert etwa 4 Monate. Immer wieder schreibt der Grenadier Alphonse Wenkin an seine Familie und freut sich über jede Post ihrerseits. Er vermisst die Öslinger Berge, die Arbeit auf dem Feld, den Alltag auf dem Bauernhof und vor allem seine Familie.

Er trifft auf Luxemburger Kameraden, etwa 40 Luxemburger sind wie er in der Ausbildung, unter ihnen Henri Roth aus Wiltz. Die Luxemburger sind allerdings verstreut in verschiedenen Kasernen untergebracht. Als der Hauptfeldwebel ihnen am 30. März mitteilt, dass nach der Ausbildung Urlaub in Aussicht steht, ist die Stimmung unter den Soldaten gut. Im April wird aus dem Grenadier Wenkin ein Soldat; doch von nun an geht es weiter nach Osten, Alphonse wird einem anderen Regiment zugeteilt, das in der Gegend von Kiew liegt. Bei im sind die luxemburgischen Kameraden Schmit, Weber, Hoffmann und Jos Tabouraing aus Sandweiler. Am 1. Mai nimmt Alphonse an einer Messe teil, die im Freien gehalten wird und schreibt: „In diesem Monat ist Oktave in Luxemburg. Wir können glücklich sein eine mächtige Beschützerin zu haben, das gibt uns festen Halt in dieser schweren Zeit.“ 

Am 29. Mai schreibt Alphonse seinen letzten Brief aus der Ausbildungszeit in Russland. In diesem Brief gibt er an, von nun an in einer anderen Einheit zu sein, die nach Ingolstadt an der Donau, kommt; am 15 Juni 1943 schickt er von dort eine Postkarte. Im Juli kommt er endlich auf den lang ersehnten Heimaturlaub, doch bereits am 18. Juli kehrt er in die Kaserne nach Ingolstadt zurück. Seine erste Nachricht beschreibt den Soldatenalltag: Alphonse muss eine Woche lang Flieger auf dem Dach der Kaserne abwehren, weil er nach Bauermanier die Hand in der Tasche hatte. Sein Kollege Jos Tabouraing bekommt 2 Tage Arrest, weil er in Reih und Glied eine Fliege aus dem Gesicht trieb. In der Ausbildungszeit wird jeden Tag geschwommen. Im August ist er auf Heimaturlaub, wieder in der Kaserne, kurzer Heimaturlaub und zurück nach Ingolstadt.

Hier wird eine Einheit zusammengestellt, wohin die Reise geht – niemand weiß es. Einige Tage später befindet sich die Einheit in Landshut. Die Soldaten erhalten Wintersachen und ihnen schwant wohin die Reise geht. Auf einer Postkarte teilt Alphonse seiner Familie den Aufbruch an die Ostfront mit. Auf dieser Postkarte zeichnet er 3 dicke Punkte, die die bevorstehende Reise darstellen. Im September 1943 schreibt Alphonse, dass seine Einheit im Süden Russlands, am Dnjpr angelangt ist. Aus dieser Stellungschreibt er am 4. Oktober 1943: „Endlich sind wir an unserem Bestimmungsort angelangt und haben unsere Feldpostnummer. Nun liegen wir in Tscherkassy; in Krementschug wo wir Stellungen bauten sind jetzt schon die Russen. Hoffentlich hat der Rummel bald ein Ende, hier hört man nicht viel von der Welt. Ihr könnt mir ein paar Blätter Papier und Enveloppen beilegen, unser ganzes Gepäck soll nachkommen. Alles hat sich hier bis hinter den Dnjjepr zurückgezogen, planmäßiger Rückzug, aber das ist kein großes Hindernis. Meine FPN ist 20401D. Heute vor einem Jahr sind wir in den RAD eingerückt.“ 

Insgesamt 11 Briefe aus Russland finden im Oktober den Weg nach Merkholtz. In allen Briefen dringt die Sehnsucht nach der Heimat durch. In den Novemberbriefen erzählt Alphonse, von den Alltagsproblemen der Soldaten im russischen Winter und dass er des Krieges müde ist. In den Briefen zu Nikolaustag, Weihnachten und Neujahr schwärmt er von der Weihnachtszeit in der Heimat, er vermisst seine Familie, am 25.Dezember schreibt er: „Ich bin in Gedanken am heutigen Tag bei euch daheim. Hoffentlich verbringen wir nächstes Jahr Weihnachten wieder zusammen.“ Am Neujahrstag, in seinem vorletzten Brief wünscht er seiner Familie: “Vill Gleck am neie Joer! So hieß es immer am Neujahrstag und wenn ich auch fern von euch bin, so war doch mein erster Gedanke und Wunschheute Morgen, dass es ein glückliches Jahr für euch alle werde. Was uns das neue Jahr wohl bringen mag?“ Der letzte Brief von Alphonse Wenkin ist auf den 3. Januar 1944 datiert und ist an seine Geschwister Emil, Guy und Marie-Thérèse gerichtet.

Diesen Brief schrieb er aus der Gegend von Tscherkassy, wo schwere Kämpfe stattfanden. Dort ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit im Januar 1944 gefallen. Die Kesselschlacht von Tscherkassy fand mitten im Winter statt und umfasste dramatische Kämpfe, bei denen die Masse der deutschen 8. Armee von sowjetischen Truppen zeitweilig eingekesselt wurde, jedoch – wenngleich unter erheblichen Verlusten – ausbrechen konnte. Allerdings waren die Verluste auf sowjetischer Seite etwa fünfmal so hoch.

Die Zettelchen

Das Besondere an Alphonses Briefen sind die „Zettelchen“, die er seiner Tante Pauline schickte. Obschon die Briefe an die Familie großes Heimweh verraten, täuscht er darin immer wieder gute Hoffnung vor. In den kleinen Briefen drückt er seine wahren Gefühle aus: Verzweiflung, Mutlosigkeit, Einsamkeit und Todesangst. Vier dieser Zettelchen zeigen den schwierigen Kriegsalltag auf beschrieben die Gefühlswelt des Alphonse Wenkin.

Zettelchen Februar 1943

Vielleicht sahen wir uns in Lindau zum letzten Mal. Hoffentlich ist Mutter jetzt beruhigter, weil ich schreibe, dass es mir gut geht. Den Abschied, liebste Tante, werde ich nie vergessen, weinen konnte ich nicht, aber mein Herz hat geblutet. Ich habe das Opfer auf mich genommen und wenn es mich das Leben kostet, hab ich es hingegeben für die Meinen, für euch alle daheim, damit ihr nicht umgesiedelt werdet. Sagen sie meiner Mutter, dass es nicht so schlimm wäre und nur nichts von den Partisanen.

Zettelchen November 1943

Dass ich fast eine Woche nicht zum Schreiben kam, hat schon seinen Grund. Den 13. November werde ich nie vergessen, da habe ich meinen ersten Sturmangriff miterlebt. Wir kamen erst gestern zurück. Wenn ich nicht mehr heimkomme, liebste Tante, sehen wir uns in einer besseren Welt wieder. Ich bin zu sterben bereit und wenn ich mein Leben geben muss, so ist es für meine Familie und meine Heimat, für sie alle daheim. Nun hoffen wir aber das Beste und bis auf ein baldiges, baldiges Wiedersehen grüßt und küsst sie herzlich – Alphonse.

Zettelchen Dezember 1943

Vier Tage kam ich nicht zum Schreiben, wir wurden in eine andere Kompanie versetzt. Es gibt Stunden, liebste Tante Pauline, wo es mir so schwer ist, dass ich es fast nicht mehr tragen kann, aber wenn ich dann an heim denke, und dass ich das Opfer für euch alle bringe, halte ich es doch wieder durch. Es kann kein Mensch sich vorstellen, was für ein Leben hier ist in Kälte, Schmutz und Lebensgefahr. Wenn ich noch mal das Glück habe heimzukommen und Ihnen erzähle, wie es war, man kann es kaum glauben.

Zettelchen Januar 1944

Heute will ich mal wieder ein Zettelchen beilegen. Ihr Brief hat mich sehr gefreut mit dem lieben Neujahrswunsch und dem lux. Bändchen. Hoffentlich geht ihr schöner Neujahrswunsch bald in Erfüllung, liebste Tante Das Jahr 1943 war für mich das schlimmste meines Lebens. Das Schrecklichste sind die Läuse und die Flöhe. Tag und Nacht findet man keine Ruhe mehr. Und dann – so ganz allein als Luxemburger! Aber Sie haben Recht, liebe Tante, wenn Sie auch nicht greifbar bei mir sind, so bin ich in Gedanken immer daheim bei euch allen. Letztes Jahr war ich genau einen Tag aus dem R.A.D. zurück und man hätte sicher gedacht, der Krieg sei 1944 zu Ende. Ich wünsche nochmals recht viel Glück im neuen Jahr und auf ein baldiges Wiedersehen mit den letzten und herzlichsten Grüßen aus dem alten Jahr 1943, Alphonse.

Die Familie Wenkin hat noch lange Zeit gehofft, er sei möglicherweise in Gefangenschaft geraten und werde eines Tages nach Hause kommen. Vergebens. Alle Bemühungen etwas Genaues über sein Schicksal zu erfahren, blieben ohne Erfolg. Alphonse Wenkin ist wohl Anfang 1944 einsam und fern seiner Heimat gestorben, weil er seiner Familie größeres Leid ersparen wollte.

Alphonse und Guy

Alphonse mit seinem Bruder Joseph

Alphonse mit seinen Großeltern und den älteren Geschwistern in Landscheid

Alphonse Wenkin in Uniform (erster von rechts)

Auf dieser Postkarte zeichnete Alphonse drei dicke Punkte. Mit dieser einfachen Kodierung teilte er seiner Familie mit, dass der Aufbruch an die Ostfront kurz bevorsteht.

Durch Granaten beschädigtes Familienhaus im Mai 1945

Weitere Informationen
Quellen & Fotos

Marie-Therérèse Feider-Wenkin - Frei der Hemecht! Alphonse Wenkin – Zwischen den Fronten - Briefe eines Zwangsrekrutierten, vermisst in Russland seit Januar 1944

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