Enscheringen im Krieg
Der 2. Weltkrieg in Enscheringen
Die Ardennenoffensive im Winter 1944/45 erregt weltweit großes politisches Aufsehen. Viele sind erstaunt, dass das angeschlagene Dritte Reich noch zu einer solchen Offensive fähig ist. Die Überraschung gelingt ‒ die Amerikaner sind nicht auf einen Großangriff vorbereitet und der deutsche Angriff rollt über die Öslinger Berge.
Am 16. Dezember 1944 stürmen deutsche Frontbataillone die Ortschaften Drauffelt, Wilwerwiltz und Alscheid. Die amerikanischen Stellungen werden umgangen und am nächsten Tag sind die Bahnhöfe der Gemeinde in deutscher Hand. Eine wichtige Straße wird für die deutschen Panzer geöffnet: die Strecke Rodershausen-Hosingen-Wilwerwiltz-Wiltz.
In Enscheringen ist der Krieg im Winter 1944 fast vergessen. Nur die amerikanischen Soldaten erinnern die Bevölkerung an das Kriegsgeschehen, denn an die Rückkehr der Deutschen will niemand so recht glauben. Am 16. Dezember treffen Evakuierte aus Hosingen ein ‒ der Nachbarort ist bereits von deutschen Soldaten besetzt.
Am Nachmittag explodieren einige Granaten in der Nähe des Dorfes. Die Bevölkerung flieht, drei alte Menschen bleiben zurück. Am 17. Dezember treffen die Deutschen im benachbarten Munshausen ein. Auch hier Brände, Granaten, Maschinengewehrfeuer. Die Bevölkerung flieht vor den Kriegsereignissen und versucht, sich im Ösling durchzuschlagen. Viele Menschen werden von der Front einholt, einige ziehen nach Süden, andere schaffen es bis in die Nähe von Bastogne.
Nach fünf Tagen kehren die ersten Bewohnerinnen und Bewohner voller Angst und Verzweiflung in ihr Dorf zurück. Einer der Zurückgebliebenen, ein Herr Wintersdorf, ist tot ‒ hingerichtet durch einen Kopfschuss. Die Häuser geplündert und verwüstet.
Am 24. Dezember werden auf „Dräi Kräizer“ zwei deutsche Flieger von amerikanischen Jägern abgeschossen.
An Weihnachten hält Pfarrer Weber aus Hosingen die Christmette, es sind traurige Weihnachten. Im Nachbardorf stirbt Pfarrer Schmit. Niemand kann an seiner Beerdigung teilnehmen, es ist zu gefährlich. Betend und wartend leben die Menschen in den Kellern ihrer Häuser. Am 31. Dezember trifft Edwin von Rothkirch und Trach, Kommandierender General eines Wehrmacht-Korps an der Westfront, in Enscheringen ein und bezieht Quartier im Schloss.
Am 14. Januar schlagen zwei Bomben in der Nähe des Dorfes ein. In der folgenden Nacht schießen die Amerikaner in den Schlossgarten, der General verschwindet im Schlafanzug im Keller. Am nächsten Tag verlässt er Enscheringen. Als positiver Nebeneffekt ist zu erwähnen, dass er einen Generator mitgebracht und zurückgelassen hat. Damit kann nun ein Teil des Dorfes mit Strom versorgt werden. Am 6. März 1945 gerät er bei Bitburg in Gefangenschaft.
Währenddessen begehen Jos Arendt, Prosper Valentiny und Léon Neumann Fahnenflucht und verlassen ihre Truppe, die im belgischen Stockem stationiert ist. Für die Männer beginnt ein Versteckspiel. Zu Fuß geht es über Dönningen nach Lullingen-Bögen. In Enscheringen tauschen sie ihre Wehrmachtsuniform gegen Zivilkleidung und finden Unterschlupf auf dem Dachboden der Familie Elsen-Arendt. Sie werden jedoch von einem evakuierten Mädchen, das ebenfalls in dem Haus wohnt, entdeckt. Es erkennt Léon Neumann, der aus dem nahen Hosingen stammt.
Vorsichtshalber bringt der Hausherr die drei in einen Kellerraum und nimmt dem Mädchen das Versprechen ab, niemandem von der Begegnung zu erzählen. Doch schon am nächsten Tag umstellen Wehrmachtssoldaten und die Feldgendarmerie das Haus.
Die Deserteure werden im Keller entdeckt und aufgefordert, nach oben zu kommen. Mit Handschellen aneinandergekettet, werden sie zum Ortskommandanten gebracht. Beim Verhör geben sie vor, Evakuierte zu sein. Es stellt sich jedoch schnell heraus, dass sie verraten wurden und Léon Neumanns Identität bekannt ist. In einem Opel Olympia werden sie nach Clerf ins Hotel Koener gebracht, wo sie von nun an unter ständiger Bewachung stehen.
Das Ehepaar Elsen-Arend t wird ebenfalls verhaftet und deportiert. Frau Elsen wird nicht wiederkehren. Sie stirbt im Februar 1945 im Alter von 54 Jahren im Zuchthaus Ziegenhain bei Kassel.
Im Keller von Schloss Enscheringen, wo Ordensschwestern leben, stirbt eine Frau aus Drauffelt. In Leinen gewickelt, wird sie in einem Garten provisorisch begraben.
Mitte Januar müssen die Männer des Dorfes mit Pickel, Hacke und Schaufel Schützengräben für MG-Stellungen ausheben. Ein sinnloses Unterfangen! Auch die Männer aus Enscheringen, Wilwerwiltz und Kautenbach müssen unter deutscher Bewachung auf die Bergkuppen steigen und ‒ unter den ständigen Angriffen von Jagdbombern dort Schützengräben ‒ ausheben .
Die Bevölkerung hungert. Ein Mann namens Demi Liefgen muss seinen Hund schlachten, um etwas zu essen zu haben, doch der Topf und der Hund werden von einer Granate in Stücke gerissen.
Allmählich bricht die deutsche Front zusammen und die Wehrmacht befindet sich überall auf dem Rückzug. Hunde fressen die Leichen von drei toten Soldaten, die die Deutschen in Enscheringen zurücklassen.
In der Nacht zum 23. Januar kommen Menschen aus Drauffelt weinend nach Enscheringen und berichten, ihr Dorf sei niedergebrannt worden und sie hätten alles verloren.
Das 317. Regiment der 80th Infantry Division rückt in Richtung Wilwerwiltz-Enscheringen vor und am 24.Januar marschiert das 1. Bataillon des 317. Regiments in Enscheringen ein. Die Amerikaner sind endlich da.
Enscheringen ist an diesem Dienstag wie ausgestorben. Die verzweifelte Bevölkerung betet in den Kellern einen Rosenkranz nach dem anderen. Im Haus „A Steckesch“ wird ein Mädchen geboren. Charlotte soll sie heißen, benannt nach der Großherzogin, die an diesem Tag Geburtstag hat.
Marie Staus, eine ältere Bewohnerin, wird erschossen. Einige deutsche Soldaten sind noch im Dorf und harren auf der anderen Seite der gesprengten Brücke am Hang in Stellungsgräben aus. Die Männer aus Enscheringen kennen diese Anlagen sehr gut, denn sie haben diese Gräben ausgehoben. Die Amerikaner lassen weitere Truppen zur Verstärkung nachrücken und greifen am 25. Januar an, umzingeln die deutschen Soldaten und nehmen 31 von ihnen gefangen.
Am Freitag, dem 26. Januar, wird eine Notbrücke errichtet und auf den Wiesen eine Zeltstadt aufgebaut ‒ nicht nur zur Verpflegung der US-Soldaten, sondern auch für die Menschen aus Enscheringen und den umliegenden Dörfern. Auch hygienische und medizinische Hilfe für die Zivilbevölkerung wird in diesen Wochen von amerikanischer Seite geleistet.
Weitere Informationen
Quellen & Fotos
› Jean Milmeister - Die Ardenenschlacht
› Fritz Rasqué - Das Ösling im Krieg
› The National Archives and Records Administration (NARA)
› Jean-Marie Boumans - Fotos