Lorblumen
Die gelbe Narzisse, auch als Osterblume bekannt
Die Gelbe Narzisse, auch Osterblume oder „Lorblume“ genannt, ist eine der bekanntesten Frühlingsblumen. Die in Mitteleuropa heimische Art ist heute nur noch selten als Wildpflanze anzutreffen und steht deshalb seit 1986 unter Artenschutz. Narzissen sind Blütenpflanzen aus der Familie der Amaryllisgewächse. Es gibt etwa 50 Arten, die hauptsächlich in Europa und Nordafrika vorkommen. Die „Ouschterblumm“ (Narcissus pseudonarcissus), im Ösling bei Lellingen „Lorblumm“ genannt, ist die bekannteste Art in Luxemburg. Sie heißt so, weil sie in der Talsohle der Lor in der Nähe von Lellingen wächst. Hier im Lor, in den Lohheckengebieten des Kiischpelt, kommt sie in großer Zahl vor.
Narzissen sind ausdauernde, krautige Pflanzen mit einer Zwiebel als Überdauerungsorgan. Je nach Art erreichen sie Wuchshöhen zwischen 5 bis 80 Zentimetern.
Die Zwiebel der Narzisse besitzt eine korkartige Bodenplatte, aus der ringförmig angeordnete Saugwurzeln entspringen. Diese können bis zu 40 Zentimeter lang werden. Wenn die Pflanze im Hochsommer ihre Blätter einzieht, sterben auch die Saugwurzeln ab. Das Zwiebelwachstum erfolgt von innen nach außen: Die äußeren Zwiebelschalen stammen aus dem Vorjahr, werden nach außen gedrückt, verfärben sich braun und trocknen ein. Sie umhüllen die Zwiebel dann wie eine lockere Schale.
Am Zwiebelboden bildet sich der Blütenstängel, der bereits im Knospenstadium die Blütenanlage für das kommende Frühjahr enthält. Die Blätter der Narzisse sind je nach Art schmal bis bandförmig und besitzen eine dicke, wachsartige Cuticula mit hohem Cutin-Gehalt. Diese schützt die Oberfläche und verleiht ihr ein glattes Aussehen. Bei frühjahrsblühenden Narzissen vergilben die Blätter im Hochsommer und sterben ab, sobald die Samenkapseln ausgereift sind.
Neben ihrer Verwendung als Garten- und Schnittblume wurde die Gelbe Narzisse aufgrund ihrer giftigen Inhaltsstoffe früher auch oft bei Hautkrankheiten, Erkältungen oder als Brechmittel eingesetzt. Das Lor-Gebiet, wo im zeitigen Frühling Zehntausende Lorblumen den Boden goldgelb färben, erstreckt sich über 380 Hektar. Warum Wildnarzissen, die seit 1986 unter Naturschutz stehen, ausgerechnet und nur an diesem Ort im Kiischpelt wachsen, ist noch nicht geklärt. Sicher ist nur, dass es sich um eine eigenständige Population handelt, die keine Ähnlichkeit mit anderen Wildnarzissen aufweist.
Mitglieder der Vereinigung luxemburgischer Biologinnen und Biologen (ABIOL) untersuchten die Populationsgenetik der Gelben Narzisse in Luxemburg und in den angrenzenden Gebieten: Die Populationen von Wilwerwiltz/Lellingen unterscheiden sich deutlich von den anderen untersuchten Populationen und die Ergebnisse lassen die Vermutung zu, dass es sich um autochthone Populationen handelt. Eine weitere luxemburgische Population, die ebenfalls aus Lellingen stammt, war überraschenderweise einer belgischen Population genetisch ähnlicher.
Die Analyse zeigte auch, dass die langfristige Erhaltung der luxemburgischen Populationen in den alten Eichenniederwäldern (Lohhecken) des Öslings nur gewährleistet ist, wenn die Lohhecken so erhalten bleiben, dass sie den spezifischen Ansprüchen der Gelben Narzisse gerecht werden.
In der Ortsgeschichte von Lellingen von 1925 beschreibt der Lehrer Georges Haentges aus Wilwerwiltz den Lor wie folgt: „Der Lohr , der seine felsigen Abhänge der heißen Mittagssonne entgegenhält, ist reich an Frühlingsblumen mannigfacher Art. Besonders üppig wuchert [sic ] hier die Kuh- oder Küchenschelle und die goldig gelbe wilde Narzisse, im Volksmund kurz Lorblume genannt, die mit ihren Zwiebeln die ganze Bergwand erobert hat. An ein Aussterben ist nicht zu denken, wenn auch alljährlich Tausende von Bündeln abgepflückt werden, selbst ganze Pflanzen, ich möchte sagen, zentnerweise ausgegraben werden und reichlich zur Osterzeit die Luxemburger Märkte füllen.“
Mehr als 40 Jahre lang wurden Lorblumen auf den Wochenmärkten der Hauptstadt verkauft. Da vor allem die Frauen einer Familie aus Steinsel diesen Handel betrieben, wurden diese Pflückerinnen von der Lellinger Bevölkerung „d’Steeseler“ genannt. Nach der Ankunft mit dem Zug in Wilwerwiltz tranken sie ihren Kaffee bei Marie Hames, zogen alte Kleider im letzten Haus des Dorfes an und pflückten fleißig Blumen im Lor. Am Nachmittag wurden die Marktkörbe zum Bahnhof getragen. Nach dem Krieg wurde dieser Blumenhandel noch einige Jahre von Frauen aus dem Pfaffental betrieben.
Der Pfarrer und Lokalhistoriker Henri Blackes beschrieb 1965 im Luxemburger Wort das liebliche, goldgelbe Blütenkind mit folgenden Worten: „Zu den botanischen Seltenheiten hierzulande rechnet ohne Zweifel die wildwachsende kleine Narzisse. Ihr einziger Standort ist der rechte langgezogene Hang im Tal des Lellingerbaches, der einen Teil der Wasser vom Hosinger Holzplateau zu Lellingen in die Clerve schüttet. Mit anderen anstoßenden Flurteilen wird dieser Hang mit ˈLorˈ bezeichnet und unser nettes Gewächs mit Lorblume betitelt. Der Lor war zeitweise von Menschen bewohnt, denn das alte Register der ˈKiischpelter Donatusbruderschaftˈ erwähnt einen gewissen Wilhelm Letter, im Lor wohnhaft; es handelt sich dabei um einen Holzhacker oder Kohlenbrenner der Periode von vor ungefähr 250 Jahren.“
Der Naturlehrpfad „Via Botanica“ führt durch das Lor-Gebiet, eines der schönsten Täler Luxemburgs. Es handelt sich um ein Projekt des Künstlers Alan Johnsten und besteht aus 25 poetischen Inszenierungen in harmonischem Einklang mit der Natur. Dezente Ruheplätze aus grauem Quarzit ‒ einem Gestein aus der Region ‒ laden zum Ausruhen, Beobachten und Zeichnen ein, in Steinplatten eingemeißelte Gedichte weisen auf die Schönheit der Natur hin und erklären Aspekte der Botanik am Wegesrand.
Der Weg führt durch eine Vielzahl von Lebensräumen: Lohhecken, Eichen-Hainbuchenwälder, Schonungen mit Nadelbäumen, Ginsterbestände, sonnige Felshänge und Wiesen mit plätschernden Forellenbächen. Diese Lebensräume wiederum weisen eine reiche Flora und Fauna auf, darunter Feuersalamander, Schwarzspecht, Haselhuhn, Wildkatze und Baummarder. Das Gebiet ist bekannt für seine Pflanzenvielfalt und beherbergt einige gefährdete Arten auf der Roten Liste, die hier ihren einzigen Lebensraum in Luxemburg haben. Im Frühling locken wilde Gelbe Narzissen und Küchenschellen viele Besucherinnen und Besucher an.
Der 500 Meter lange und sehr steile Aufstieg zum Naturschutzgebiet „Pënzebierg“ lohnt sich. Auf der 7,5 Kilometer langen Strecke wird die Anstrengung mit einem wunderschönen Ausblick belohnt: Ein Meer von blühenden Lorblumen zieht sich durch die Tal- und Waldlandschaft, wie man es selten sieht. Wandernde werden dazu angeregt, die Schätze der Natur zu entdecken, sie bewusst wahrzunehmen, genau zu beobachten und zeichnerisch festzuhalten. So wird der Weg zum Spiel, zur Schatzsuche in der Natur.
Der Erlebnispfad ist jederzeit ohne Führung begehbar. Neugierige Wandernde können ihren Wissensdurst an sechs Stationen stillen, die neben Informationen auch Gedichte enthalten.
Weitere Informationen
Quellen & Fotos
› Georges Haentges - Ortsgeschichte von Lellingen (1925)
› Henri Blackes - Luxemburger Wort (1965)